Pflöcke, die begrenzen.
Alle Jahre wieder stehen wir vor der zwanghaften Erklärung zum kommenden Jahr: Der gute Vorsatz. „Keine Zigarette mehr, weniger Alkohol, Körpercheck beim Arzt, mehr Sport, weniger Süßes usw.“.
Am Abend, es war einer der richtig schlechten Novemberabende im Dezember: 6 Grad warm und Regen. Da las ich einem kleinen Buch eine Geschichte von Jorge Bucay.
Diese gebe ich Euch auszugsweise wieder:
Als ich ein kleiner Junge war, war ich vollkommen vom Zirkus fasziniert, und am meisten gefielen mir die Tiere. Vor allem der Elefant hatte es mir angetan. Wie ich später erfuhr, ist er das Lieblingstier vieler Kinder. Während der Zirkusvorstellung stellte das riesige Tier sein ungeheures Gewicht, seine eindrucksvolle Größe und seine Kraft zur Schau. Nach der Vorstellung aber und auch in der Zeit kurz vor seinem Auftritt blieb der Elefant immer am Fuß an einen kleinen Pflock angekettet. Der Pflock war allerdings nichts weiter als ein winziges Stück Holz, das kaum ein paar Zentimeter tief in der Erde steckte. Und obwohl die Kette mächtig und schwer war, stand für mich ganz außer Zweifel, dass ein Tier, das die Kraft hatte, einen Baum mit samt der Wurzel auszureißen, sich mit Leichtigkeit von einem solchen Pflock befreien und fliehen konnte.
Dieses Rätsel beschäftigt mich bis heute. Was hält ihn zurück?
Warum macht er sich nicht auf und davon? Als Sechs- oder auch als Siebenjähriger vertraute ich noch auf die Weisheit der Erwachsenen. Also fragte ich einen Lehrer, einen Vater oder Onkel nach dem Rätsel des Elefanten. Einer von ihnen erklärte mir, der Elefant mache sich nicht aus dem Staub, weil er dressiert sei.
Meine nächste Frage lag auf der Hand: „Und wenn er dressiert ist, warum muss er dann noch angekettet werden?“.
Ich erinnere mich nicht, je eine schlüssige Antwort darauf bekommen zu haben….
Vor einigen Jahren fand ich heraus, dass zu meinem Glück doch schon jemand weise genug gewesen war, die Antwort auf die Frage zu finden:
Der Zirkuselefant flieht nicht, da er schon seit frühester Kindheit an einen solchen Pflock gekettet ist.
Ich schloss die Augen und stellte mir den wehrlosen neu geborenen Elefanten am Pflock vor. Ich war mir sicher, dass er in diesem Moment schubst, zieht und schwitzt und sich zu befreien versucht. Und trotz aller Anstrengung gelingt es ihm nicht, weil dieser Pflock zu fest in der Erde steckt. Ich stelle mir vor, dass er erschöpft einschläft und es am nächsten Tag wieder (versucht), und am nächsten...
Bis eines Tages, eines für seine Zukunft verhängnisvollen Tages, das Tier seine Ohnmacht akzeptiert und sich in sein Schicksal fügt. Dieser riesige, mächtige Elefant, den wir aus dem Zirkus kennen, flieht nicht, weil der Ärmste glaubt, dass er es nicht kann. Allzu tief hat sich die Erinnerung daran, wie ohnmächtig er sich kurz nach seiner Geburt gefühlt hat, in sein Gedächtnis eingebrannt. Und das Schlimme dabei ist, dass er diese Erinnerung nie wieder ernsthaft hinterfragt hat. Nie wieder hat er versucht, seine Kraft auf die Probe zu stellen.
Ich stellte mir die Frage, welche Pflöcke mich bisher in meinem Leben gebunden haben und das vielleicht nur, weil ich zur falschen Zeit versucht habe, mich loszureißen. Nicht der Pflock ist zu mächtig, sondern es war nicht der richtige Moment. Und so bleibe ich begrenzt, gebunden, gefangen.
Daher ist mein Vorsatz ein scheinbar einfacher, jedoch herausfordernder. Ich werde mich auf die Suche meiner Pflöcke machen und schauen, ob nicht jetzt der richtige Moment ist oder er erkennbar kommt. Ich möchte freier werden von kindlich sozialen Begrenzungen, Ängsten und/oder Sorgen.
Euch, meinen Lieben, wünsche ich für das kommende Jahr, dass Ihr zumindest an Euren Pflöcken rüttelt und vielleicht einen lösen könnt.
Also dann: Raus mit dem Pflock.